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11. November 2009

Soziologie als Beruf

Filed under: Friedrich Fürstenberg — soziologie heute @ 09:34
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– eine „fragwürdige“ Profession?

von Friedrich Fürstenberg (Public Observer, 2. 6. 2006)

In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ist Soziologie
immer noch eine „fragwürdige“ Profession. Zwar ist
sie als selbständiges akademisches Fach fest etabliert,
und in zahlreichen Berufsfeldern sind Soziologen
erfolgreich tätig. Einheitliche Berufsbilder sind jedoch
nicht entwickelt worden, so dass es keinen
Stellenmarkt im engeren Sinne gibt und institutionell
gesicherte Karrieren eher die Ausnahme sind. Dies
hängt auch mit einer Besonderheit soziologischer
Selbstreflexion zusammen.
Probleme der Identitätsfindung
In Forschung und Lehre plagt man sich mit
unaufgelösten Widersprüchen, die auch eine spätere
Praxisorientierung beeinflussen.
Ist Soziologie „Grundwissenschaft“ als universeller
Philosophieersatz, ist sie autonome „Bildungswissenschaft“
für Hörer aller Fakultäten oder ist
sie „Fachwissenschaft“ „zur empirischen Erforschung
der sozialen Realität“ (Max Haller 1989, 185), oft
eingeschränkt verstanden als zuständig für die
Nomenklatur des Sozialen in griffigen Schlagworten
oder für die Techniken empirischer Sozialforschung
oder für die Problemreste der Nachbardisziplinen?
Fragen wir nach den Gründen für diese Unsicherheit,
dann gelangen wir zu einem Dualismus der
Erkenntnisinteressen dieser Wissenschaft, der sie so
spannend, aber auch so schwierig macht. Einmal geht
es ihr um die Gewinnung von Reflexions- und
Handlungsspielräumen durch Erkenntnis gesellschaftlicher
Handlungsbedingungen, also letztlich um
die Befreiung des Menschen von unnötigen Zwängen.
Aus dieser Sicht ist Soziologie die Emanzipationswissenschaft
schlechthin und damit allen
Autoritäten grundsätzlich suspekt. In der GegenGegenposition
erscheint aber auch Soziologie als
Ordnungswissenschaft von den vorwiegend institutionellen
Bindungen, die den Fortbestand der
Gesellschaft sichern.
Zum anderen vermittelt die Soziologie strategische
Orientierungen für planendes und vorausschauendes
Handeln im Sinne des schon von Auguste Comte
geforderten „savoir pour prévoir“ und damit für eine
gewissermaßen soziotechnische Organisation von
Handlungsstrukturen und Handlungsabläufen. Ganz im
Gegensatz zu den Kritikern, die Soziologie als
unverständliche Wissenschaft von den Selbstverständlichkeiten
des Alltags denunzieren und den
Soziologen Professionalität absprechen wollen, sind
diese in beiden Bereichen außerordentlich erfolgreich
tätig.
Eine Orientierung in der modernen sozialen
Wirklichkeit sowie die Benennung und Analyse ihrer
Probleme sind ohne die von Soziologen geschaffene
Begriffssprache und das damit verbundene
Problembewusstsein nicht denkbar, ob es sich nun um
Modernisierung, Indivdualisierung und Globalisierung
in einer Risiko-, Dienstleistungs- oder Erlebnisgesellschaft
handelt, um Wertewandel, Lebensstile und
multikulturelle Milieus, um die Jungen Alten,
Randgruppen, Terroristen oder Kommunikations-,
Selbstverwirklichungs- und Partizipationsprobleme.
Aber auch die soziale Praxis hängt von den
Problemlösungen der Soziologen ab. Keine Familienund
Jugendberatung, kein Programm betrieblicher
Personal- und Organisationsentwicklung, keine Marktund
Meinungsforschung, keine Regional- und
Stadtplanung, keine sozialpolitische Maßnahme, aber auch keine Vorbereitung eines Verbandskongresses,
keine Wahlstrategie einer Partei, keine Konzeptualisierung
eines politischen Programms ist ohne
Rückgriff auf soziologisches Wissen, also ohne die
Hilfe der Soziologen denkbar, ob dies nun explizit
eingestanden oder nur implizit praktiziert wird.
Auch die Beschaffung der für Steuerungs- (und
Reform-)prozesse unerlässlichen Planungs- und
Orientierungsdaten ist ohne empirische Sozialforschung
nicht möglich. Ihre Reduktion im
öffentlichen Bewusstsein auf Markt- und Meinungsforschung
entspricht keineswegs der Vielfalt der
Anwendungen.
Das Verhältnis von Theorie und Praxis
Dennoch kommt es immer wieder zu einer
Minderschätzung soziologischer Erkenntnisse seitens
der Praxis und damit zu einer potenziellen Abwertung
der Soziologie, auch wenn sie als anwendungsorientierte
Fachwissenschaft auf empirischer
Grundlage betrieben wird. Ein Grund hierfür liegt in
der oft scharfen Trennung von Theorie und Praxis, die
Absolventen als Divergenz von Prüfungswissen und
Berufsanforderungen erfahren.
Im soziologischen Forschungsprozess werden Primärerfahrung
und Reflexion getrennt. Die Wahrnehmung
der sozialen Wirklichkeit wird gleichsam halbiert, und
zwar einerseits in Tatsachen, die subjektiv im
lebensweltlichen Sinnkontext erfahren werden,
andererseits in begrifflich konstruierte Artefakte im
Kontext theorieorientierter Begründungen. Der Wirklichkeitsbezug
der Soziologie ist also problematisch,
wenn es nicht zu einer Synthese von Erklärungsansatz
und Erfahrungswissen kommt.
Dann sind Fehlentwicklungen möglich, die das
Verhältnis von Theorie und Praxis verzerren. Hierfür
zwei Beispiele: Mit Anspruch auf hohen
Allgemeinheitsgrad kann die These von der
Individualisierung moderner Lebensstile formuliert
werden, vielleicht von ein paar Beispielen illustriert,
ohne dass eine Rückbindung an nachvollziehbare
soziale Vorgänge erfolgt. Ein derartiges abstraktes
Argumentieren gilt bisweilen als Merkmal der Gelehrsamkeit.
Seine Qualität hängt allerdings von der
Prägnanz begrifflicher Distinktionen ab und selbstverständlich
von der Problemsicht. In der Soziologie
kommt es nun darauf an, Argumente auf Daten zu
beziehen, ihnen also eine Erfahrungsgrundlage zu
geben. Dieses Erfordernis wird häufig verfehlt. Dies
gilt insbesondere für den Umgang mit komplexen
Konstrukten wie Kapitalismus, Rationalisierung,
Entfremdung, Klasse, Milieu, Feminismus, um nur
einige zu nennen. In Ansätzen zur Theoretisierung
werden darüber hinaus laufend neue Begriffsbildungen in mehr oder weniger systematisierter Form angeboten,
die den Überblick über Erkenntnisfortschritte
außerordentlich erschweren. Es besteht die
Möglichkeit, sich über Probleme zu streiten, deren
reale Entsprechung nicht einsichtig ist, und auch
Problemen durch als Begriffsstreit kaschierte
Ausreden auszuweichen. Deshalb ist es so wichtig, die
Begriffsbildung an wissenschaftlich kontrollierte
Erfahrungen zu koppeln.
Geht man hingegen von empirischen Befunden aus, so
ist eine weitreichende Arbeitsteilung nicht
ungewöhnlich. Soziologische Tatbestände werden in
der Form von Datensätzen, z. B. über die
Einstellungen einer Bevölkerungsstichprobe gegenüber
Ausländern, gleichsam als Rohmaterial von
spezialisierten Instituten bezogen. Mit Hilfe
komplexer Rechenverfahren werden dann statistische
Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen
dieser Informationsmengen ermittelt und beliebig
modelliert. Dies führt schließlich etwa zu Aussagen
wie derjenigen, dass die Akzeptanz von Ausländern
auch vom jeweiligen Bildungsgrad abhängt. Derartige
Formulierungen können produziert werden, ohne dass
seitens ihres Urhebers jemals die Begegnung mit
einem Ausländer in einer konkreten Situation
stattfand.
Dieser abstrakte Empirismus kann wissenschaftliche
Aussagen begründen – oft in Form tabellierter
Korrelationskoeffizienten – die entweder nicht lokalisierbar
oder fiktiv sind. Dennoch gelten sie als verallgemeinerungsfähiges
Wissen.
In beiden Fällen hat diese Vorgehensweise
Konsequenzen: Der abstrakte Empirismus führt ebenso
wie das abstrakte Argumentieren letztlich zu einer
Vernachlässigung des handelnden Menschen und
schließlich zu einem Unverständnis der sinnhaften
situativen Bindung sozialen Handelns und damit zum
Verlust des Wirklichkeitsbezugs. Auf diese Weise
verliert die Wissenschaft gleichsam den Boden unter
den Füßen. Sie gerät zu einem freischwebenden
selbstreferentiellen System – um einen Terminus von
Niklas Luhmann zu gebrauchen – das sich der Wirklichkeitskontrolle
entzieht. An deren Stelle tritt
Verfahrenskontrolle. Das produzierte Wissen bleibt
somit an die spezifisch verkürzte Systemwelt
wissenschaftlicher Verfahren bzw. an berufsspezifische
Argumentationskonventionen gebunden.
Der sozialwissenschaftliche Erkenntnisprozess ist also
zwischen der Scylla des abstrakten Argumentierens
und der Charybdis des abstrakten Empirismus zu
steuern und zwar, dies ist meine These, durch
Erfahrung und Einsicht, also letztlich durch
Rückbindung an die gesellschaftliche Praxis. Der wissenschaftliche Fortschritt impliziert einen
ständigen Kreislauf von Erkenntnissen, ihrer
Vermittlung und ihrer Anwendung, also von
Forschung, Lehre und Praxis
Probleme der Professionalisierung
Inwiefern kann man also von „Soziologie als Beruf“
sprechen? Hierzu ist zunächst festzustellen, dass eine
erworbene Hochschulqualifikation mit Zertifikat nur
den Berufseinstieg ermöglicht, dass im Berufsleben
selbst jedoch die tatsächliche Handlungskompetenz
ausschlaggebend ist. George Strauss 1963 und dann
Harold Wilensky 1964 haben den mehrstufigen
Prozess der Professionalisierung anschaulich anhand
folgender Schritte beschrieben:
• Eine spezialisierte Erwerbstätigkeit beschäftigt
den Menschen voll und sichert seinen
Lebensunterhalt.
• Ausbildungsstätten (an den Hochschulen)
werden aufgebaut, in denen engagierte Berufsangehörige
als Lehrer tätig sind. So wird der
Anspruch auf berufsspezifisches Expertenwissen
begründet.
• Die Absolventen bauen einen Berufsverband
auf, der die kompetenten Berufsangehörigen von den
unfähigen zu trennen sucht. Der Zugang wird auf die
Ausgebildeten beschränkt. Es werden ferner
prestigetragende Tätigkeiten definiert und die
schmutzigen Arbeiten abgestoßen. Die Berufsaufgaben
werden autonom von den Berufsangehörigen
ausgeführt.
• Der Verband versucht, die Unterstützung des
Gesetzgebers zu erhalten: Wo der Kompetenzbereich
nicht eindeutig ist, soll dieser den Titel schützen. wo
er eindeutig ist, soll die Berufsausbildung durch
Unbefugte unter Strafe gestellt werden. Andererseits
verpflichten sich die Berufssträger zur Identifizierung
mit der Berufsrolle.
• Es wird ein code of ethics aufgestellt, der die
wichtigsten Interaktionsbeziehungen regelt. Damit
wird gesellschaftliche Verantwortung für die
Berufsausübung übernommen. Gerade für die unter
Konkurrenzdruck selbständig tätigen Sozialforscher
ist dieser Aspekt besonders wichtig, wie ich als
Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft
sozialwissenschaftlicher Forschungsinstitute erfahren
habe.
Der Professionalisierungsprozess wird zwar durch
interessenbezogene Strategien und Taktiken
eingeleitet, aber erst durch gesellschaftliche
Anerkennung abgeschlossen. Wo liegen nun die
Probleme bei den Soziologen? Hierzu ein paar
absichtlich karikierende, also übersteigernde
Bemerkungen. Wahrscheinlich sind Soziologen für
einen demonstrativen und organisierungsfeindlichen Individualismus besonders anfällig, verbunden mit
einem Geltungsstreben, das in jedem Kollegen vor
allem den Konkurrenten sieht, den es herabzuqualifizieren
gilt, und das die Erfolge anderer
grundsätzlich neidet. Um einen Vorteil zu erhaschen,
wird etwa bei der Konkurrenz um Drittmittel oft
Unerfüllbares versprochen und auf Risiken und
Nebenwirkungen nicht aufmerksam gemacht. Wenn
Solidarität gezeigt wird, dann ist sie bei vielen
Soziologen leider auf „Paradigmen-Clans“ und
weltanschaulich getarnte Seilschaften begrenzt. So
treten dann nicht nur die Frauen gegen die Männer
(und umgekehrt), die Wiener gegen die Linzer (und
umgekehrt), die Etablierten gegen die Jobsucher auf.
Andererseits stellen sich viele auch mit Freude als
Außenseiter in der Öffentlichkeit dar, laufen mit
schickem Rucksack auf der linken Schulter und
ausgewaschenen Jeans durch die Wiener Innenstadt zu
einem Festempfang. Mit dem so genannten
Establishment hat man grundsätzlich Berührungsängste.
Lieber verkriecht man sich in informelle
Netzwerke, aus denen es dann, wie in schlecht
geplanten WGs und übereilt geknüpften Beziehungen,
kaum ein Entrinnen gibt. So wird von diesen
Soziologen, die es eigentlich besser wissen müssten,
verkannt, dass ihr Beruf erst durch verpflichtende
Normbindung funktionaler, aber auch extrafunktionaler
Qualifikationen zu einer gesellschaftlichen
Institution wird. Wirklichkeitssinn,
Urteilsreife und soziale Kompetenz sind für Soziologen
im Beruf unerlässlich. Sonst erscheinen sie der
Umwelt als das Problem, dessen Lösung sie angeblich
anstreben. In diesem Zusammenhang erinnere ich
mich auch an meinen amerikanischen Professor,
William Foote Whyte, der uns einmal sagte,
Soziologie sei nichts für heiße Herzen und einen
weichen Kopf. Das habe ich dann schmerzlich
erfahren, wenn ich mich zu sehr in Situationen
engagierte, die etwas mehr Abstand erfordert hätten.
Professionalität ist also auch ein Mittelweg zwischen
idealistischem Aktionismus und rigorosem Vorteilskalkül.
Unklarheiten der Berufsfindung
Aber nicht alle Berufsprobleme sind den Soziologen
selbst anzulasten. Sie müssen in einem unübersichtlichen
Umfeld tätig werden, das um so
schwieriger wird, je mehr man sich von den Bereichen
mit technisch fixierter und oft auch rechtlich
normierter Systemsicherheit entfernt, also in die
ungeregelten Problemzonen der Handlungsfelder
vordringt. In vieler Hinsicht sind Soziologen
Berufspioniere. Sie erproben oft die Anwendbarkeit
sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden
dort, wo man auf eingefahrenen Wegen nicht
weiterkommt.

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die
im Soziologiestudium erworbene Kernqualifikation
für viele Tätigkeiten nicht hinreichend ist und z.B.
durch anwendungsorientierte, nicht bloß formale
Wirtschafts-, Rechts- und Sprachkenntnisse ergänzt
werden muss. Erika Jaklitsch-Schmidt stellte 1989
anhand der Umfrageergebnisse bei 104 österreichischen
Soziologen fest, dass 81 % angaben, ihre
für die Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse nicht
im Studium erworben zu haben (166). Erst im
breiteren Kontext der Sozialwissenschaften wird der
Stellenwert der Soziologie manifest.
Außerdem fehlt zunächst die situative Erfahrung, die
für Problemlösungen in der Praxis ausschlaggebend
werden kann, sich aber erst in einem Prozess
lebenslangen Lernens akkumuliert. Die praktische
Anwendbarkeit des an der Hochschule vermittelten
Lehrstoffs wird schon aus diesem Grunde immer
begrenzt sein. Andererseits wird oft verkannt, dass
Erfahrung erst vor dem Hintergrund eines erweiterten
Problemhorizonts zu Erkenntnissen und Einsichten
führt.
Weil der Bereich der Soziologie so umfassend ist, fällt
es dem Soziologen als potenziellem Generalisten oft
schwer, eine realistische Berufsperspektive zu
entwickeln, die immer zwangsläufig mit einer
Eingrenzung des Handlungsfeldes und entsprechender
Spezialisierung verbunden ist. Die Erkundung der
persönlichen Eignung und Neigung ist ein oft
schmerzlicher Lernprozess . Eine Konsequenz daraus
ist die Förderung von Praktika schon während des
Studiums und die Bereitstellung von Trainee-Phasen
beim Berufseinstieg.
Karrierestrategien
In den Berufsinformationen der deutschen
Bundesagentur für Arbeit heißt es:
„Beschäftigungsmöglichkeiten finden Soziologen und
Soziologinnen (Uni) in der öffentlichen Verwaltung,
bei Parteien und Verbänden sowie in der Markt- und
Meinungsforschung. An Fachhochschulen und
Universitäten nehmen sie Lehr- und Forschungsaufträge
im Bereich der Soziologie wahr. Ferner sind
sie in Fachredaktionen von Tageszeitungen oder
Verlagen sowie in Rundfunk- und Fernsehanstalten
beschäftigt. In Betrieben aller Wirtschaftszweige
übernehmen sie Aufgaben im Personalwesen, in
Werbe- und Kommunikationsabteilungen. Ein weiteres
Tätigkeitsfeld stellen Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit
dar.“
Hinzugefügt werden kann noch die freiberufliche
Beratungstätigkeit, die oft ein Ergebnis des
Outsourcing größerer Wirtschaftsorganisationen und
Verwaltungseinheiten oder einer vergeblichen Suche nach fester Anstellung ist.
Josef Hochgerner hat 1989 versucht, die
soziologischen Berufe auf den Hauptarbeitsbereich
Information zurückzuführen und dementsprechend
zwischen informationsproduzierenden, -verarbeitenden
und -vermittelnden Berufen unterschieden (200).
Hinzuzufügen wären allerdings auch berufliche
Anwendungsfelder von sozialwissenschaftlichen
Informationen.
Je nach dem gewählten Berufsfeld stellt sich der
Karriereverlauf anders dar. Entscheidend ist immer ein
realistischer Ausgleich von subjektiven Ansprüchen
und objektivierten Anforderungen. Der Trend zu
Tandemkarrieren der Lebenspartner und deren
gleichgewichtige Einbindung in familiäre Pflichten
führt zu Verschiebungen der Präferenzen, die sich
nicht mehr vollständig aus der Berufssituation ableiten
lassen und damit auch den Aufstiegshorizont in der
Regel deutlich begrenzen. Priorität hat aus der Sicht
des Berufsträgers die Stimmigkeit der Lebensführung.
Aber in den Anforderungssituationen, die für
rationalisierte Arbeitsorganisationen typisch sind,
werden die Systemzwänge oft unausweichlich. Gerade
aus ihrer professionellen Perspektive heraus sind die
Soziologen angesichts dieser Herausforderungen in
besonderem Maße aufgefordert, ihrerseits zur so
genannten „Humanisierung des Arbeitslebens“
beizutragen, und zwar weniger programmatisch als mit
einfühlender Problemsicht und Gestaltungskompetenz.
Ein konkretes Beispiel ist die Doppelbelastung
berufstätiger Mütter.
Zwischen Beruf und Berufung
Es gibt eine minimalistische Auffassung von „Beruf“,
für die er „nichts anderes (ist) als der symbolische
Ausdruck für (die) `Warenbedeutung´ der Menschen
zueinander“ (Beck/Brater/Daheim 1980, 216f.). Der
Beruf wird aber auch als Kulturform der Arbeit erlebt
und gestaltet. Dies erklärt, warum unter gleichen
Arbeitsmarktbedingungen Berufseinstellungen sehr
unterschiedlich sein können, je nach der
sozialkulturellen Prägung von Bedürfnissen, Interessen
und Werten.
Es ist verständlich, dass die Berufsorientierung der
Hochschulabsolventen zunächst von der Perspektive
der Soziologie als wissenschaftlichem Fach und
weniger von der Soziologie als möglichem Berufsfeld
geprägt wird. So wird eher selten antizipiert, dass es
Soziologie als Beruf im Sinne der Berufsbezeichnung
„Soziologe“ allenfalls in Ansätzen gibt.
In den Leistungsorganisationen der Praxis treten an
ihre Stelle Rang- und Funktionsbezeichnungen, die
aber auch Mitarbeiter mit anderem Ausbildungshintergrund teilen. Es ist üblich, dass Soziologen in
Teams integriert werden und sowohl interdisziplinär
als auch praxisorientiert Projekte bearbeiten. Das
Berufsbewusstsein ändert sich und wird weniger
partikulär.
Den außeruniversitär beruflich tätigen Soziologen fehlt
häufig der kollegiale Zusammenhalt. Vorrang sollte
deshalb auch die nachhaltige Entwicklung von
Beziehungsnetzen mit Einschluss der Zentren
soziologischer Lehr- und Forschungsaktivitäten sowie
die wissenschaftliche Weiterbildung haben.
Mit dem Perspektivenwechsel nach Berufseintritt
können sich aber auch tiefgreifende Identitäts- und
Motivationsprobleme verbinden. Die im Studium
erworbene Eingangsqualifikation prägt zweifellos die
spätere berufliche Identitätsfindung, aber nur in dem
Maße, in dem auf einen Dialog zwischen Wissenschaft
und Praxis Wert gelegt wird. In ihm sollte es keinen
grundsätzlichen Vorrang geben, wie dies kürzlich auch
Herbert Altrichter, Waltraud Kannonier-Finster
und Meinrad Ziegler (2005) gefordert haben. Zum
Dialog müssen beide Seiten beitragen, vor allem aber
die Berufsträger selbst motiviert werden. Dabei
kommt es nun häufig zu Widersprüchen zwischen
Erkenntnis-, Gestaltungs- und Verwertungsinteressen.
Aus dem idealistischen Sozialpionier kann rasch der
vorteilsmaximierende Anpassungsvirtuose werden.
Umgekehrt entdeckt mancher erst in der Praxis die
Notwendigkeit einer umfassenderen Einsicht in
Wirkungszusammenhänge, die bei oberflächlicher
Routine verborgen bleiben.
Wer Soziologie als Beruf anstrebt und ausübt, tut dies
angesichts der moderaten Beschäftigungs- und
Aufstiegschancen nicht in erster Linie, um möglichst
rasch zu Wohlstand und Prestige zu kommen.
Aufgeschlossenheit gegenüber sozialen Fragen und
Bereitschaft zum Engagement müssen ebenfalls
vorhanden sein. Hierzu fühlen sich offensichtlich
immer mehr Frauen berufen, wie der wachsende
Anteil der Soziologie-Studentinnen zeigt. Als
Konsequenz wird sich voraussichtlich in absehbarer Zeit auch das Berufsmilieu der Soziologen ändern.
Unsere bürokratisierte und technisierte Gesellschaft
braucht aber die gerade von Frauen stärker vertretenen
personbezogenen Grundhaltungen auch in der Praxis,
als Gegengewicht gegen eine schrankenlose
Versachlichung und Ökonomisierung sozialer
Beziehungen.
Wer als Soziologe oder Soziologin im Beruf etwas
bewirken will, braucht zunächst ein gutes Rüstzeug
von Kenntnissen und Fertigkeiten, das in einem
Prozess lebenslangen Lernens erneuert und ergänzt
werden muss. Letztlich sind nicht Zertifikate, sondern
Handlungskompetenzen ausschlaggebend. Bei der
Fort- und Weiterbildung kommt den Universitäten eine
bisher kaum wahrgenommene Aufgabe zu.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische
Erfahrungen müssen aber auch symbiotisch verknüpft
werden. Dann erst entsteht die humane Einsicht, ohne
die eine Gestaltung des sozialen Lebens allenfalls
effiziente Manipulation bleibt.

Literatur
Altrichter, H./Kannonier-Finster, W./Ziegler, M. (2005): Das
Theorie-Praxis-Verhältnis in den Sozialwissenschaften im Kontext
professionellen Handelns, in: Österr. Zeitschr. f. Soziologie 30/1,
22-43.
Beck, U./Brater, M./Daheim, H.J. (1980): Soziologie der Arbeit
und der Berufe. Reinbek: Rowohlt.
Fürstenberg/F. (1989): Soziologie – die fragwürdige Profession, in:
Soziale Welt 40, 325-329.
Fürstenberg, F. (2000): Berufsgesellschaft in der Krise. Berlin:
edition sigma.
Fürstenberg/F, Mayer, K. (1975): Die Berufseingliederung der
Absolven ten der Hochschule für Sozial – und
Wirtschaftswissenschaften Linz 1969-1974. Wien: Schriftenreihe des
Bundesministeriums für soziale Verwaltung 1/75.
Haller, M. in Zusammenarbeit mit E. Fischer und A. Pinter (Hrsg.)
(1989): Berufsfelder von Soziologen und Soziologinnen im
außeruniversitären Bereich. Graz: Österreichische Gesellschaft für
Soziologie.
Hochgerner, J. (1989): Tendenzen der Professionalisierung. Über
die Entwicklung soziologischer Berufsfelder außerhalb der
Universität. In: Haller u.a., 189-209.
Jaklitsch-Schmitt, E. (1989): Zur Situation österreichischer
SoziologInnen im Beruf. Ergebnisse einer empirischen Studie. In:
Haller u.a., 106-170.

18. Oktober 2009

Soziologie als Beruf

Filed under: Friedrich Fürstenberg — soziologie heute @ 15:32

eine „fragwürdige“ Profession?

von Friedrich Fürstenberg

(aus: Public Observer Nr. 29 v. 2. 6. 2006)

In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ist Soziologie immer noch eine „fragwürdige“ Profession. Zwar ist sie als selbständiges akademisches Fach fest etabliert, und in zahlreichen Berufsfeldern sind Soziologen erfolgreich tätig. Einheitliche Berufsbilder sind jedoch nicht entwickelt worden, so dass es keinen Stellenmarkt im engeren Sinne gibt und institutionell gesicherte Karrieren eher die Ausnahme sind. Dies hängt auch mit einer Besonderheit soziologischer Selbstreflexion zusammen.

Probleme der Identitätsfindung
In Forschung und Lehre plagt man sich mit unaufgelösten Widersprüchen, die auch eine spätere Praxisorientierung beeinflussen. Ist Soziologie „Grundwissenschaft“ als universeller Philosophieersatz, ist sie autonome „Bildungswissenschaft“ für Hörer aller Fakultäten oder ist sie „Fachwissenschaft“ „zur empirischen Erforschung der sozialen Realität“ (Max Haller 1989, 185), oft eingeschränkt verstanden als zuständig für die Nomenklatur des Sozialen in griffigen Schlagworten oder für die Techniken empirischer Sozialforschung oder für die Problemreste der Nachbardisziplinen?

Fragen wir nach den Gründen für diese Unsicherheit, dann gelangen wir zu einem Dualismus der Erkenntnisinteressen dieser Wissenschaft, der sie so
spannend, aber auch so schwierig macht. Einmal geht es ihr um die Gewinnung von Reflexions- und Handlungsspielräumen durch Erkenntnis gesellschaftlicher Handlungsbedingungen, also letztlich um die Befreiung des Menschen von unnötigen Zwängen.

Aus dieser Sicht ist Soziologie die Emanzipationswissenschaft schlechthin und damit allen Autoritäten grundsätzlich suspekt. In der Gegenposition erscheint aber auch Soziologie als Ordnungswissenschaft von den vorwiegend institutionellen Bindungen, die den Fortbestand der
Gesellschaft sichern. Zum anderen vermittelt die Soziologie strategische
Orientierungen für planendes und vorausschauendes Handeln im Sinne des schon von Auguste Comte geforderten „savoir pour prévoir“ und damit für eine gewissermaßen soziotechnische Organisation von Handlungsstrukturen und Handlungsabläufen. Ganz im Gegensatz zu den Kritikern, die Soziologie als unverständliche Wissenschaft von den Selbstverständlichkeiten des Alltags denunzieren und den Soziologen Professionalität absprechen wollen, sind diese in beiden Bereichen außerordentlich erfolgreich tätig.

Eine Orientierung in der modernen sozialen Wirklichkeit sowie die Benennung und Analyse ihrer Probleme sind ohne die von Soziologen geschaffene Begriffssprache und das damit verbundene Problembewusstsein nicht denkbar, ob es sich nun um Modernisierung, Indivdualisierung und Globalisierung in einer Risiko-, Dienstleistungs- oder Erlebnisgesellschaft
handelt, um Wertewandel, Lebensstile und multikulturelle Milieus, um die Jungen Alten, Randgruppen, Terroristen oder Kommunikations-,
Selbstverwirklichungs- und Partizipationsprobleme. Aber auch die soziale Praxis hängt von den Problemlösungen der Soziologen ab. Keine Familien- und Jugendberatung, kein Programm betrieblicher Personal- und Organisationsentwicklung, keine Markt- undMeinungsforschung, keine Regional- und Stadtplanung, keine sozialpolitische Maßnahme, aber auch keine Vorbereitung eines Verbandskongresses, keine Wahlstrategie einer Partei, keine Konzeptualisierung eines politischen Programms ist ohne
Rückgriff auf soziologisches Wissen, also ohne die Hilfe der Soziologen denkbar, ob dies nun explizit eingestanden oder nur implizit praktiziert wird.

Auch die Beschaffung der für Steuerungs- (und Reform-)prozesse unerlässlichen Planungs- und Orientierungsdaten ist ohne empirische Sozialforschung nicht möglich. Ihre Reduktion im öffentlichen Bewusstsein auf Markt- und Meinungsforschung entspricht keineswegs der Vielfalt der
Anwendungen.

Das Verhältnis von Theorie und Praxis
Dennoch kommt es immer wieder zu einer Minderschätzung soziologischer Erkenntnisse seitens der Praxis und damit zu einer potenziellen Abwertung
der Soziologie, auch wenn sie als anwendungsorientierte Fachwissenschaft auf empirischer Grundlage betrieben wird. Ein Grund hierfür liegt in der oft scharfen Trennung von Theorie und Praxis, die Absolventen als Divergenz von Prüfungswissen und Berufsanforderungen erfahren.

Im soziologischen Forschungsprozess werden Primärerfahrung und Reflexion getrennt. Die Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit wird gleichsam halbiert, und zwar einerseits in Tatsachen, die subjektiv im
lebensweltlichen Sinnkontext erfahren werden, andererseits in begrifflich konstruierte Artefakte im Kontext theorieorientierter Begründungen. Der Wirklichkeitsbezug der Soziologie ist also problematisch, wenn es nicht zu einer Synthese von Erklärungsansatz und Erfahrungswissen kommt.
Dann sind Fehlentwicklungen möglich, die das Verhältnis von Theorie und Praxis verzerren. Hierfür zwei Beispiele: Mit Anspruch auf hohen Allgemeinheitsgrad kann die These von der Individualisierung moderner Lebensstile formuliert werden, vielleicht von ein paar Beispielen illustriert,
ohne dass eine Rückbindung an nachvollziehbare soziale Vorgänge erfolgt. Ein derartiges abstraktes Argumentieren gilt bisweilen als Merkmal der Gelehrsamkeit. Seine Qualität hängt allerdings von der Prägnanz begrifflicher Distinktionen ab und selbstverständlich von der Problemsicht.

In der Soziologie kommt es nun darauf an, Argumente auf Daten zu beziehen, ihnen also eine Erfahrungsgrundlage zu geben. Dieses Erfordernis wird häufig verfehlt. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit komplexen Konstrukten wie Kapitalismus, Rationalisierung, Entfremdung, Klasse, Milieu, Feminismus, um nur einige zu nennen. In Ansätzen zur Theoretisierung werden darüber hinaus laufend neue Begriffsbildungen in mehr oder weniger systematisierter Form angeboten, die den Überblick über Erkenntnisfortschritte außerordentlich erschweren. Es besteht die
Möglichkeit, sich über Probleme zu streiten, deren reale Entsprechung nicht einsichtig ist, und auch Problemen durch als Begriffsstreit kaschierte
Ausreden auszuweichen. Deshalb ist es so wichtig, die Begriffsbildung an wissenschaftlich kontrollierte Erfahrungen zu koppeln.

Geht man hingegen von empirischen Befunden aus, so ist eine weitreichende Arbeitsteilung nicht ungewöhnlich. Soziologische Tatbestände werden in
der Form von Datensätzen, z. B. über die Einstellungen einer Bevölkerungsstichprobe gegenüber Ausländern, gleichsam als Rohmaterial von spezialisierten Instituten bezogen. Mit Hilfe komplexer Rechenverfahren werden dann statistische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen dieser Informationsmengen ermittelt und beliebig modelliert. Dies führt schließlich etwa zu Aussagen wie derjenigen, dass die Akzeptanz von Ausländern auch vom jeweiligen Bildungsgrad abhängt. Derartige Formulierungen können produziert werden, ohne dass
seitens ihres Urhebers jemals die Begegnung mit einem Ausländer in einer konkreten Situation stattfand.

Dieser abstrakte Empirismus kann wissenschaftliche Aussagen begründen – oft in Form tabellierter Korrelationskoeffizienten – die entweder nicht lokalisierbar oder fiktiv sind. Dennoch gelten sie als verallgemeinerungsfähiges Wissen.

In beiden Fällen hat diese Vorgehensweise Konsequenzen: Der abstrakte Empirismus führt ebenso wie das abstrakte Argumentieren letztlich zu einer
Vernachlässigung des handelnden Menschen und schließlich zu einem Unverständnis der sinnhaften situativen Bindung sozialen Handelns und damit zum Verlust des Wirklichkeitsbezugs. Auf diese Weise verliert die Wissenschaft gleichsam den Boden unter den Füßen. Sie gerät zu einem freischwebenden selbstreferentiellen System – um einen Terminus von
Niklas Luhmann zu gebrauchen – das sich der Wirklichkeitskontrolle entzieht. An deren Stelle tritt Verfahrenskontrolle. Das produzierte Wissen bleibt somit an die spezifisch verkürzte Systemwelt wissenschaftlicher Verfahren bzw. an berufsspezifische Argumentationskonventionen gebunden.

Der sozialwissenschaftliche Erkenntnisprozess ist also zwischen der Scylla des abstrakten Argumentierens und der Charybdis des abstrakten Empirismus zu steuern und zwar, dies ist meine These, durch
Erfahrung und Einsicht, also letztlich durch Rückbindung an die gesellschaftliche Praxis. Der wissenschaftliche Fortschritt impliziert einen ständigen Kreislauf von Erkenntnissen, ihre Vermittlung und ihrer Anwendung, also von Forschung, Lehre und Praxis

Probleme der Professionalisierung
Inwiefern kann man also von „Soziologie als Beruf“ sprechen? Hierzu ist zunächst festzustellen, dass eineerworbene Hochschulqualifikation mit Zertifikat nur den Berufseinstieg ermöglicht, dass im Berufsleben selbst jedoch die tatsächliche Handlungskompetenz ausschlaggebend ist. George Strauss 1963 und dann Harold Wilensky 1964 haben den mehrstufigen
Prozess der Professionalisierung anschaulich anhand folgender Schritte beschrieben:
• Eine spezialisierte Erwerbstätigkeit beschäftigt den Menschen voll und sichert seinen Lebensunterhalt.
• Ausbildungsstätten (an den Hochschulen) werden aufgebaut, in denen engagierte Berufsangehörige als Lehrer tätig sind. So wird der Anspruch auf berufsspezifisches Expertenwissen begründet.
• Die Absolventen bauen einen Berufsverband auf, der die kompetenten Berufsangehörigen von den unfähigen zu trennen sucht. Der Zugang wird auf die Ausgebildeten beschränkt. Es werden ferner prestigetragende Tätigkeiten definiert und die schmutzigen Arbeiten abgestoßen. Die Berufsaufgaben werden autonom von den Berufsangehörigen ausgeführt.
• Der Verband versucht, die Unterstützung des Gesetzgebers zu erhalten: Wo der Kompetenzbereich nicht eindeutig ist, soll dieser den Titel schützen. wo
er eindeutig ist, soll die Berufsausbildung durch Unbefugte unter Strafe gestellt werden. Andererseits verpflichten sich die Berufssträger zur Identifizierung mit der Berufsrolle.
• Es wird ein code of ethics aufgestellt, der die wichtigsten Interaktionsbeziehungen regelt. Damit wird gesellschaftliche Verantwortung für die Berufsausübung übernommen. Gerade für die unter Konkurrenzdruck selbständig tätigen Sozialforscher ist dieser Aspekt besonders wichtig, wie ich als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Forschungsinstitute erfahren habe.
Der Professionalisierungsprozess wird zwar durch interessenbezogene Strategien und Taktiken eingeleitet, aber erst durch gesellschaftliche
Anerkennung abgeschlossen.

Wo liegen nun die Probleme bei den Soziologen?

Hierzu ein paar absichtlich karikierende, also übersteigernde Bemerkungen. Wahrscheinlich sind Soziologen für einen demonstrativen und organisierungsfeindlichen Individualismus besonders anfällig, verbunden mit einem Geltungsstreben, das in jedem Kollegen vor allem den Konkurrenten sieht, den es herabzuqualifizieren gilt, und das die Erfolge anderer grundsätzlich neidet. Um einen Vorteil zu erhaschen, wird etwa bei der Konkurrenz um Drittmittel oft Unerfüllbares versprochen und auf Risiken und Nebenwirkungen nicht aufmerksam gemacht. Wenn
Solidarität gezeigt wird, dann ist sie bei vielen Soziologen leider auf „Paradigmen-Clans“ und weltanschaulich getarnte Seilschaften begrenzt. So
treten dann nicht nur die Frauen gegen die Männer (und umgekehrt), die Wiener gegen die Linzer (und umgekehrt), die Etablierten gegen die Jobsucher auf. Andererseits stellen sich viele auch mit Freude als Außenseiter in der Öffentlichkeit dar, laufen mit schickem Rucksack auf der linken Schulter und´ausgewaschenen Jeans durch die Wiener Innenstadt zu
einem Festempfang. Mit dem so genannten Establishment hat man grundsätzlich Berührungsängste. Lieber verkriecht man sich in informelle
Netzwerke, aus denen es dann, wie in schlecht geplanten WGs und übereilt geknüpften Beziehungen, kaum ein Entrinnen gibt. So wird von diesen
Soziologen, die es eigentlich besser wissen müssten, verkannt, dass ihr Beruf erst durch verpflichtende Normbindung funktionaler, aber auch extrafunktionaler Qualifikationen zu einer gesellschaftlichen
Institution wird. Wirklichkeitssinn, Urteilsreife und soziale Kompetenz sind für Soziologen im Beruf unerlässlich. Sonst erscheinen sie der Umwelt als das Problem, dessen Lösung sie angeblich anstreben.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an meinen amerikanischen Professor, William Foote Whyte, der uns einmal sagte, Soziologie sei nichts für heiße Herzen und einen weichen Kopf. Das habe ich dann schmerzlich erfahren, wenn ich mich zu sehr in Situationen engagierte, die etwas mehr Abstand erfordert hätten. Professionalität ist also auch ein Mittelweg zwischen idealistischem Aktionismus und rigorosem Vorteilskalkül.

Unklarheiten der Berufsfindung
Aber nicht alle Berufsprobleme sind den Soziologen selbst anzulasten. Sie müssen in einem unübersichtlichen Umfeld tätig werden, das um so schwieriger wird, je mehr man sich von den Bereichen mit technisch fixierter und oft auch rechtlich normierter Systemsicherheit entfernt, also in die ungeregelten Problemzonen der Handlungsfelder vordringt. In vieler Hinsicht sind Soziologen Berufspioniere. Sie erproben oft die Anwendbarkeit
sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden dort, wo man auf eingefahrenen Wegen nicht weiterkommt.

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die im Soziologiestudium erworbene Kernqualifikation für viele Tätigkeiten nicht hinreichend ist und z.B. durch anwendungsorientierte, nicht bloß formale Wirtschafts-, Rechts- und Sprachkenntnisse ergänzt werden muss. Erika Jaklitsch-Schmidt stellte 1989 anhand der Umfrageergebnisse bei 104 österreichischen Soziologen fest, dass 81 % angaben, ihre für die Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse nicht im Studium erworben zu haben (166). Erst im breiteren Kontext der Sozialwissenschaften wird der Stellenwert der Soziologie manifest.

Außerdem fehlt zunächst die situative Erfahrung, die für Problemlösungen in der Praxis ausschlaggebend werden kann, sich aber erst in einem Prozess
lebenslangen Lernens akkumuliert. Die praktische Anwendbarkeit des an der Hochschule vermittelten Lehrstoffs wird schon aus diesem Grunde immer
begrenzt sein. Andererseits wird oft verkannt, dass Erfahrung erst vor dem Hintergrund eines erweiterten Problemhorizonts zu Erkenntnissen und Einsichten führt.

Weil der Bereich der Soziologie so umfassend ist, fällt es dem Soziologen als potenziellem Generalisten oft schwer, eine realistische Berufsperspektive zu
entwickeln, die immer zwangsläufig mit einer Eingrenzung des Handlungsfeldes und entsprechender Spezialisierung verbunden ist. Die Erkundung der persönlichen Eignung und Neigung ist ein oft schmerzlicher Lernprozess . Eine Konsequenz daraus ist die Förderung von Praktika schon während des Studiums und die Bereitstellung von Trainee-Phasen beim Berufseinstieg.

Karrierestrategien
In den Berufsinformationen der deutschen Bundesagentur für Arbeit heißt es: „Beschäftigungsmöglichkeiten finden Soziologen und Soziologinnen (Uni) in der öffentlichen Verwaltung, bei Parteien und Verbänden sowie in der Markt- und Meinungsforschung. An Fachhochschulen und Universitäten nehmen sie Lehr- und Forschungsaufträge im Bereich der Soziologie wahr. Ferner sind sie in Fachredaktionen von Tageszeitungen oder Verlagen sowie in Rundfunk- und Fernsehanstalten beschäftigt. In Betrieben aller Wirtschaftszweige übernehmen sie Aufgaben im Personalwesen, in Werbe- und Kommunikationsabteilungen. Ein weiteres Tätigkeitsfeld stellen Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit dar.“

Hinzugefügt werden kann noch die freiberufliche Beratungstätigkeit, die oft ein Ergebnis des Outsourcing größerer Wirtschaftsorganisationen und
Verwaltungseinheiten oder einer vergeblichen Suche nach fester Anstellung ist.

Josef Hochgerner hat 1989 versucht, die soziologischen Berufe auf den Hauptarbeitsbereich Information zurückzuführen und dementsprechend
zwischen informationsproduzierenden, -verarbeitenden und -vermittelnden Berufen unterschieden (200). Hinzuzufügen wären allerdings auch berufliche Anwendungsfelder von sozialwissenschaftlichen Informationen.
Je nach dem gewählten Berufsfeld stellt sich der Karriereverlauf anders dar. Entscheidend ist immer ein realistischer Ausgleich von subjektiven Ansprüchen und objektivierten Anforderungen. Der Trend zu Tandemkarrieren der Lebenspartner und deren gleichgewichtige Einbindung in familiäre Pflichten führt zu Verschiebungen der Präferenzen, die sich
nicht mehr vollständig aus der Berufssituation ableiten lassen und damit auch den Aufstiegshorizont in der Regel deutlich begrenzen. Priorität hat aus der Sicht des Berufsträgers die Stimmigkeit der Lebensführung. Aber in den Anforderungssituationen, die für rationalisierte Arbeitsorganisationen typisch sind, werden die Systemzwänge oft unausweichlich. Gerade aus ihrer professionellen Perspektive heraus sind die Soziologen angesichts dieser Herausforderungen in besonderem Maße aufgefordert, ihrerseits zur so
genannten „Humanisierung des Arbeitslebens“ beizutragen, und zwar weniger programmatisch als mit einfühlender Problemsicht und Gestaltungskompetenz. Ein konkretes Beispiel ist die Doppelbelastung berufstätiger Mütter.

Zwischen Beruf und Berufung
Es gibt eine minimalistische Auffassung von „Beruf“, für die er „nichts anderes (ist) als der symbolische Ausdruck für (die) `Warenbedeutung´ der Menschen zueinander“ (Beck/Brater/Daheim 1980, 216f.). Der Beruf wird aber auch als Kulturform der Arbeit erlebt und gestaltet. Dies erklärt, warum unter gleichen Arbeitsmarktbedingungen Berufseinstellungen sehr
unterschiedlich sein können, je nach der sozialkulturellen Prägung von Bedürfnissen, Interessen und Werten.

Es ist verständlich, dass die Berufsorientierung der Hochschulabsolventen zunächst von der Perspektive der Soziologie als wissenschaftlichem Fach und weniger von der Soziologie als möglichem Berufsfeld geprägt wird. So wird eher selten antizipiert, dass es Soziologie als Beruf im Sinne der Berufsbezeichnung „Soziologe“ allenfalls in Ansätzen gibt. In den Leistungsorganisationen der Praxis treten an ihre Stelle Rang- und Funktionsbezeichnungen, die aber auch Mitarbeiter mit anderem Ausbildungshintergrund teilen. Es ist üblich, dass Soziologen in Teams integriert werden und sowohl interdisziplinär als auch praxisorientiert Projekte bearbeiten. Das Berufsbewusstsein ändert sich und wird weniger
partikulär.

Den außeruniversitär beruflich tätigen Soziologen fehlt häufig der kollegiale Zusammenhalt. Vorrang sollte deshalb auch die nachhaltige Entwicklungvon
Beziehungsnetzen mit Einschluss der Zentren soziologischer Lehr- und Forschungsaktivitäten sowie die wissenschaftliche Weiterbildung haben.
Mit dem Perspektivenwechsel nach Berufseintritt können sich aber auch tiefgreifende Identitäts- und Motivationsprobleme verbinden. Die im Studium erworbene Eingangsqualifikation prägt zweifellos die spätere berufliche Identitätsfindung, aber nur in dem Maße, in dem auf einen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis Wert gelegt wird. In ihm sollte es keinen
grundsätzlichen Vorrang geben, wie dies kürzlich auch Herbert Altrichter, Waltraud Kannonier-Finster und Meinrad Ziegler (2005) gefordert haben. Zum Dialog müssen beide Seiten beitragen, vor allem aber die Berufsträger selbst motiviert werden. Dabei kommt es nun häufig zu Widersprüchen zwischen Erkenntnis-, Gestaltungs- und Verwertungsinteressen.

Aus dem idealistischen Sozialpionier kann rasch der vorteilsmaximierende Anpassungsvirtuose werden. Umgekehrt entdeckt mancher erst in der Praxis die Notwendigkeit einer umfassenderen Einsicht in Wirkungszusammenhänge, die bei oberflächlicher Routine verborgen bleiben.

Wer Soziologie als Beruf anstrebt und ausübt, tut dies angesichts der moderaten Beschäftigungs- und Aufstiegschancen nicht in erster Linie, um möglichst rasch zu Wohlstand und Prestige zu kommen. Aufgeschlossenheit gegenüber sozialen Fragen und Bereitschaft zum Engagement müssen ebenfalls vorhanden sein. Hierzu fühlen sich offensichtlich immer mehr Frauen berufen, wie der wachsende Anteil der Soziologie-Studentinnen zeigt. Als Konsequenz wird sich voraussichtlich in absehbarer Zeit auch das Berufsmilieu der Soziologen ändern.

Unsere bürokratisierte und technisierte Gesellschaft braucht aber die gerade von Frauen stärker vertretenen personbezogenen Grundhaltungen auch in der Praxis, als Gegengewicht gegen eine schrankenlose Versachlichung und Ökonomisierung sozialer Beziehungen.

Wer als Soziologe oder Soziologin im Beruf etwas bewirken will, braucht zunächst ein gutes Rüstzeug von Kenntnissen und Fertigkeiten, das in einem
Prozess lebenslangen Lernens erneuert und ergänzt werden muss. Letztlich sind nicht Zertifikate, sondern Handlungskompetenzen ausschlaggebend. Bei der Fort- und Weiterbildung kommt den Universitäten eine bisher kaum wahrgenommene Aufgabe zu. Wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen müssen aber auch symbiotisch verknüpft
werden. Dann erst entsteht die humane Einsicht, ohne die eine Gestaltung des sozialen Lebens allenfalls effiziente Manipulation bleibt.

Literatur:
Altrichter, H./Kannonier-Finster, W./Ziegler, M. (2005): Das
Theorie-Praxis-Verhältnis in den Sozialwissenschaften im Kontext
professionellen Handelns, in: Österr. Zeitschr. f. Soziologie 30/1,
22-43.
Beck, U./Brater, M./Daheim, H.J. (1980): Soziologie der Arbeit
und der Berufe. Reinbek: Rowohlt.
Fürstenberg/F. (1989): Soziologie – die fragwürdige Profession, in:
Soziale Welt 40, 325-329.
Fürstenberg, F. (2000): Berufsgesellschaft in der Krise. Berlin:
edition sigma.
Fürstenberg/F, Mayer, K. (1975): Die Berufseingliederung der
Absolven ten der Hochschule für Sozial – und
Wirtschaftswissenschaften Linz 1969-1974. Wien: Schriftenreihe des
Bundesministeriums für soziale Verwaltung 1/75.
Haller, M. in Zusammenarbeit mit E. Fischer und A. Pinter (Hrsg.)
(1989): Berufsfelder von Soziologen und Soziologinnen im
außeruniversitären Bereich. Graz: Österreichische Gesellschaft für
Soziologie.
Hochgerner, J. (1989): Tendenzen der Professionalisierung. Über
die Entwicklung soziologischer Berufsfelder außerhalb der
Universität. In: Haller u.a., 189-209.
Jaklitsch-Schmitt, E. (1989): Zur Situation österreichischer
SoziologInnen im Beruf. Ergebnisse einer empirischen Studie. In:
Haller u.a., 106-170.

17. Oktober 2009

Globalisierte Finanzmärkte

Filed under: Friedrich Fürstenberg — soziologie heute @ 17:25

Finanzkrisen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen

von Friedrich Fürstenberg

Das spektakulärste Beispiel für die Krisenanfälligkeit globaler Finanzmärkte waren zunächst die Schuldenkrisen, von denen seit den 80er Jahren die Schwellenkländer heimgesucht wurden. Extrem steigende Zinssätze, die Aufwertung des US-Dollar und ein steigender Erdölpreis haben zusammen mit bedenkenlosen Kreditausweitungen und interner Misswirtschaft bei politischer Instabilität dazu geführt, dass eine massive Kapitalflucht einsetzte und Staaten illiquide wurden: Polen im Dezember 1981, Mexiko im August 1982 und dann 1994, die schwere Asienkrise 1997, 1998 Russland, 1999 Brasilien und die Türkei, 2001 Argentinien, 2008 Island und die Ukraine.

Die Folgen für die Wirtschafts- und Sozialstruktur der betroffenen Staaten waren dramatisch. In Mexiko kam es zu einer Währungsabwertung von etwa 50 Prozent innerhalb weniger Tage. Die Kosten der Bankenrestrukturierung belasteten die Bevölkerung mit einem Verlust von fast 20 Prozent des BIP. Im Jahr nach der Finanz- und Bankenkrise fiel das mexikanische BIP um 7 Prozent, der private Verbrauch ging um 17 Prozent zurück und die Investitionen sanken um 30 Prozent. Eine Studie der Weltbank ermittelte für den Zeitraum von 1978 bis 1999 insgesamt 114 Krisen des Bankensystems in 93 Ländern und 51 Krisen einzelner Banken in 41 Ländern (Caprio/Klingebiel 2003).

Die Sanierung mittels internationaler Hilfspakete wurde an Umschuldungsvereinbarungen geknüpft. Deren Ziel ist die Wiederherstellung der Fähigkeit zum Schuldendienst. Sie finden wegen ihrer den Lebensstandard der ärmeren Bevölkerungsschichten zunächst senkenden Auswirkungen immer wieder vehemente Kritik.

Seit August 2007 stehen im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit die Bankenkrisen (Bankgesellschaft Berlin, BAWAG Wien, Bear Sterns, Lehman Bros., Royal Bank of Scotland, Hypo Realkredit etc.), die durch Fehleinschätzung der Risiken globaler Finanzengagements immer wieder entstehen. Die in den Kreditinstituten gelagerten „bad loans“  die weder Zinserträge bringen noch verkäuflich sind, schränken den Kreditrahmen erheblich ein und belasten durch diese Kreditsperre andere Wirtschaftssektoren ganz erheblich. Diese Vorgänge bekunden einen spektakulären und risikoreichen Orientierungswandel bei den Geldanlage-Strategien, die sich in Einzelfällen weit von den üblichen Geschäftsbereichen mit beherrschbarem Risiko entfernt haben.

Angesichts derartiger Fehlentwicklungen wird immer wieder gefordert, die internationalen Finanzmärkte in ein funktionsfähiges Normen- und Kontrollsystem, in eine „internationale Finanzarchitektur“ einzubinden (Nier 2009). Ansätze hierzu bildet der so genannte, vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank entwickelte „Washington- Konsens“ von 1990. Danach müssen sich zur Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit die Schuldnerländer zur rigorosen Haushaltsdisziplin, zu einer Steuerreform, zu hohen Zinsen, zu exportfördernden Wechselkursen, zu einer Handelsliberalisierung, zur Verbesserung der Konditionen für ausländische Investoren (Rechtssicherheit, Minimierung staatlicher Auflagen), zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen, zu Deregulierung und zum Abbau staatlicher Einflussnahme verpflichten. Evaluationen der Wirksamkeit derartiger Reformkonzepte, die nahezu alle Politikbereiche eingreifen, gelangen allerdings zu dem Schluss, dass etwa 40 Prozent der IWF-Programme während der Laufzeit abgebrochen werden und ein gleich hoher Anteil der vereinbarten Bedingungen von den Kreditnehmern nicht eingehalten wird. Auch sind die Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Lebensstandard eher negativ. (Dreher 2006).

Die Kreditvergabe der Banken soll durch das Abkommen Basel II an Mindestnormen der Kapitaldeckung gebunden werden, die das Risiko der Illiquidität und Insolvenz entscheidend vermindern können. Auch wird versucht, das Gebaren der Investmentfonds, insbesondere der Hedgefonds an Risiko beschränkende Konventionen zu binden, die von der Bankenaufsicht kontrolliert werden. Es hat sich jedoch erwiesen, dass weiterhin regelungsfreie Zonen und Bereiche bestehen. Auch verringert sich angesichts global operierender Finanznetzwerke das Regelungspotenzial der Nationalstaaten dramatisch, und die Initiativen transnationaler Zusammenschlüsse und Organisationen bieten vorerst keinen Ersatz.

Soziale Auswirkungen globalisierter Geld- und Kapitaltransfers
Es fehlt nicht an individual- und sozialethischen Handreichungen für den richtigen Umgang mit Geld, der allerdings zwischen der Scylla eines konjunkturpolitisch unerwünschten exzessiven Sparens und der Charybdis fremdbestimmten Konsumterrors nur schwer für alle Lebenslagen fixierbar ist. Dennoch wird der Anschein erweckt, persönliche Entscheidungen könnten in der „Wahlurne des Marktes” (Ludwig v. Mises) globale Prozesse neutralisieren oder durch die „große Weigerung” (Herbert Marcuse), exzessiv zu konsumieren, die gesellschaftliche Wende herbeiführen.

Die „Sozialisation” des Geldes ist nicht auf der Ebene des Individualverhaltens zu erreichen, sondern erfordert einen institutionellen Rahmen, wie Werner Sombart frühzeitig mit seiner Forderung nach einer „Zähmung des Riesen Kapitalismus” erkannte. Es geht um nichts weniger als um eine „Resozialisation” insbesondere des Finanzkapitals, um seine Einbindung in von Menschen verantwortete Sozialstrukturen.

Der Trend zur weltweiten Marktöffnung und Marktverflechtung hat strukturelle Entgrenzungen des Wirtschaftshandelns und seiner institutionellen Rahmenordnungen bewirkt. Der Widerspruch zwischen zwei gesellschaftspolitischen Paradigmen zur Steuerung von Wirtschaftsprozessen wird offenkundig. Vorrang  hatte bisher der Staat als Hüter des Gemeinwohls durch eine, wenn auch als Kompromiss ausgehandelte, Sicherung des sozialen Ausgleichs gegenüber der Optimierung von Rentabilität und Produktivität aus privatwirtschaftlicher Sicht. Diese Prioritäten haben sich umgekehrt. Vorrang haben ertragssteigernde Marktstrategien. Nur hierdurch scheint sich auch Spielraum für sozialverträgliche  Absicherungen zu öffnen. Dem Staat kommt im Wesentlichen eine Förderungs- und eine Korrekturfunktion zu. Er soll das Produktivitäts- und Innovationspotenzial der Wirtschaft fördern und Fehlentwicklungen korrigieren, jedoch ohne die Marktstrukturen außer Kraft zu setzen. Die Auseinandersetzung über die Prioritäten findet allerdings vor dem weiterhin bestehenden Hintergrund institutioneller, also rechtlich fixierter Regelungen statt. Immer mehr wird erkannt, dass Finanzmärkte ohne institutionelle Bindung letztlich zur Anarchie tendieren.

Den Interessen der institutionellen und privaten Besitzer von Geldvermögen entspricht das Entstehen einer Funktionärsschicht von Verwaltern riesiger Potenziale von Verfügungsmacht, deren Strategien sich an der Verwertbarkeit von jederzeit in Geld wandelbaren Kapitalanlagen orientieren.

Die neuen Mechanismen von Erwerb und Transfer wirtschaftlicher Macht bedingen auch eine neue Qualität wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Die Sorge um unkontrollierbare Geld- und Kapitalabflüsse fördert einen entsprechenden interregionalen und zwischenstaatlichen Wettbewerb, in dem staatliche Instanzen den möglichen Investoren Konzessionen machen, z.B. durch Steuervergünstigungen. Darüber hinaus findet eine transnationale Ausbreitung hegemonialer Finanzstrukturen statt, die durch einzelstaatliche Kontrolle und durch demokratische Prozesse bisher nicht steuerbar sind.
Damit einher geht ein Wandel gesellschaftlicher Orientierungen.

Nahegelegt wird der Bevölkerung angesichts einer relativen Abwertung des „Arbeitsvermögens“ durch zunehmend globalisierte Kapitalumschichtungen der Aufbau von Geldvermögen auf breiter Basis zur Risikoabsicherung und Erzielung alternativer Einkommen. So empfahl Hans-Werner Sinn, der Leiter des Münchner Ifo-Instituts 2004: „Der einzige Weg, den ich sehe, diese Einkommmensverluste (durch Outsourcing und Offshoring. Anm. d. Verf.) zu verringern, liegt im Sparen. Zu den Lohneinkommen muss ein Kapitaleinkommen als Einkommensquelle hinzutreten.“

Gerade diejenigen, die das Sparen am nötigsten hätten, sind hierzu jedoch immer weniger in der Lage. Leitbild ist auch nicht das herkömmliche Sparverhalten, sondern eine spekulative Anlage in Fonds mit weithin fiktiven Ertragserwartungen. Wirtschaftsbezogenes Verhalten erhält damit tendenziell den Charakter von Wetten. Rationalität wird im „Casino-Kapitalismus“ auf die Berechnung von Chancen reduziert.

Nun gibt es zweifellos Gesellschaftssegmente, in denen diese Veränderungen im wirtschaftlichen Machtgefüge eher indirekt und diffus wahrgenommen werden und kausale Betroffenheit im negativen Sinne daher nicht nachvollziehbar ist. So zeichnet sich eine polarisierte Bewusstseinsstruktur ab: einerseits die Denkgewohnheiten der Virtuosen im Umgang mit geldmäßigen Verfügungspotenzialen und ihre Klientel, andererseits die Wirtschaftsubjekte mit traditionsorientiertem Erwartungshorizont einer statusgemäßen Lebenssicherung.

Von letzteren wird „Vertrauen“ erwartet, das durch „vertrauensbildende Maßnahmen“ zu stärken ist. Hierzu gehören aber die Kontinuität von Erfahrungen und die Vorhersehbarkeit von Handlungsfolgen. Dies kann ein von globalen Finanzmärkten beherrschtes, extrem volatiles Geldsystem nicht leisten. Der Widerspruch zwischen der riskanten Verwertung von Liquiditätsreserven einerseits und dem Sicherheitsstreben im Zusammenhang mit langfristiger Lebensplanung andererseits ist vorläufig unauflösbar. Diese wird zunehmend illusionär angesichts umfassend liquiditätsgesteuerter Gesellschaftsprozesse.

Dennoch besteht kein Anlass, sich mit einer dämonisierenden Auffassung vom Geld anzufreunden, die diesem autonome Wirkungen zuschreibt. Es sei zugegeben, dass sie weithin „systemisch“ bedingt sind. Dennoch sind auch Systemzwänge immer noch Herausforderungen, sich ihnen zu unterwerfen, sie zu akzeptieren, sie zu meiden oder sie gar zu beseitigen. Wenn Menschen ihre Handlungsfähigkeit gegenüber dem Geld verlieren, so tragen sie letztlich die Verantwortung dafür und können sich nicht mit dem Hinweis auf eine angebliche Eigengesetzlichkeit oder Neutralität des Geldes exkulpieren. Hinter dieser „Eigengesetzlichkeit“ verbirgt sich  nichts anderes als ein oft ungehemmtes und auch lokalisierbares Machtstreben.

Es kommt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive also nicht nur darauf an, Mechanismen offenzulegen, sondern den Verantwortungsspielraum aufzuzeigen, der modernen Geldformen angemessen ist. Der Weg zur Bändigung des Molochs Geld führt neben der Erlernung von Kulturtechniken zum sachgemäßen und verantwortungsbewussten Umgang mit Geld vor allem über seine Institutionalisierung, seine Einpassung in eine mit der Gesellschaftsentwicklung korrespondierende Geldverfassung. Hierfür gibt es durchaus schon sichtbare Ansätze. Ihre Weiterentwicklung ist vor allem Aufgabe jener, die den Umgang mit dem Geldinstrumentarium verantworten müssen. Sie haben sich hierbei immer wieder zu fragen, inwieweit Handeln, das sich an der Zweckmäßigkeit aus der Sicht des Eigennutzes orientiert, letztlich durch die Sinnbestimmung dieser keineswegs selbstverständlichen Handlungsfreiheit getragen wird (Fürstenberg 1988).

So stellt sich erneut und dringlich die Frage nach einer „Sozialverfassung“ des Globalisierungsprozesses mit entsprechendem Sozialverhalten der Betroffenen und Beteiligten. Anzumerken ist allerdings, dass eine erhöhte Regelbindung des Finanzsektors keineswegs ausreicht, die Risiken des Wirtschaftssystems letztlich zu beherrschen. Sie liegen in dem Schwanken und der tendenziellen Reduktion von Profitraten, wodurch immer wieder Suchprozesse nach optimaler Kapitalverwertung ausgelöst werden, deren Risiken nur begrenzt beherrschbar sind. So bleibt der internationalen Staatengemeinschaft weiterhin die Aufgabe, für angemessene Schadensbegrenzung zu sorgen.

 

Literatur

Caprio, G./Klingebiel, D.  (2003): Episodes of Systemic and Borderline Financial Crises. http.//econ.worldbank.org/research
Dreher, A. (2006): Unter falschen Bedingungen. Die bisherige Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds ist erfolglos und oftmals sogar schädlich. In: FAZ vom 15.4.2006, S. 13.
Fürstenberg, F. (1988): Geld und Geldkritik aus wirtschaftssoziologischer Sicht, in:  Reinhold, G. (Hrsg.): Wirtschaftssoziologie. München/Wien: Oldenbourg, 60-73.
Nier, E.W. (2009): Financial Stability Frameworks and the Role of Central Banks: Lessons from the Crisis. IMF Working Paper 09/70.
Sinn, H.-W. (2004): Das Dilemma der Globalisierung. St. Gallen: Forschungsgemeinschaft für Nationalökonomie an der Universität  St. Gallen.

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